Merkwürdige Dinge gehen vor sich in der Welt der internationalen, drahtlosen Kommunikation. Oft genug habe ich betont, dass das Internet viele alltägliche Probleme vereinfachen, wenn nicht sogar lösen kann, besonders für jene, die fern der Heimat ihre Zelte – oder voll ausgestatteten Mietwohnungen – aufschlagen. Persönliche Beziehungen können so nahezu nahtlos weitergeführt werden. Soziale Netzwerke geben manchmal sogar erst den Anlass, einen alten Freund erneut anzusprechen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Trotz alledem verwundert es mich natürlich nicht, wenn mir trotzdem jemand sagt, dass das alles nicht dasselbe ist, und dass ohne die tatsächliche körperliche Präsenz schon etwas fehlt. Was mich dagegen durchaus verwundert ist, wenn ich automatisch erstellte Nachrichten erhalte, die denselben Titel tragen, wie mein heutiger Blog. Was ich damit meine? Ich beschreibe es euch an einem Beispiel.
Vor ein paar Monaten habe ich beschlossen, mein Leben in kurzen Stichpunkten für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nicht aus einem exhibitionistischen Gefühl heraus ist dies geschehen, sondern zum einen, um meinen potenziellen Arbeitgebern ein klareres und kontrollierteres Bild von mir zu geben als es Facebook kann und damit sich meine potenziellen Leser einen Überblick über meine kreativen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen verschaffen können. Ich suchte mir also einen kostenlosen Anbieter, mit dessen Designs ich arbeiten konnte und der das Gestalten einer Webseite nicht zu einer Programmieraufgabe machte; ich fügte einige Daten über mich ein, suchte ein paar wenige Bilder heraus und speicherte das ganze vorerst nur für mich zugänglich auf dem Server. Soweit war ich zufrieden. Wenn ich dazu Lust und Zeit hätte, könnte ich nun meine eigene Webseite kostenlos veröffentlichen. Zunächst schob ich das Projekt jedoch beiseite.
Genau eine Woche später hatte ich eine neue e-Mail im Posteingang. „Nadine, weebly misses you!“ hieß es dort. Wie aufmerksam! Wie gefühlvoll! Wie unglaublich unglaubwürdig! Es ist ja klar, dass eine solche e-Mail nur automatisch erstellt worden sein konnte. Es ist auch klar, dass den Betreibern im Prinzip völlig egal ist, was ich tue und was ich lasse und warum. Was sie wollen ist, dass ich, wenn ich schon nichts für meine Webseite bezahle, doch wenigstens Werbung für sie mache. Es ist sehr unauffällige Werbung. Nur ein kleiner Satz am unteren Rand der Seite, der andere dazu ermutigt, ihre Webseite ebenfalls mit weebly zu erstellen, bestenfalls die kostenpflichtige Version ohne Werbung und ohne „weebly“ in der Adresszeile zu wählen. Wenn ich meine Webseite nur auf deren Servern speichere und nicht veröffentliche, tue ich nichts davon und verbrauche nur Platz. Insofern verstehe ich auch, wenn weebly fälschlicherweise glaubt, es würde sie etwas angehen, dass ich meine Webseite noch nicht veröffentlicht habe.
Trotzdem ist es ein interessantes Phänomen, mit einem so gefühlvollen Ausspruch meine Aufmerksamkeit erregen zu wollen, mich mit vorgespielter Emotionalität zurück zur ‚Community’ zu ziehen, damit ich im Sinne des Unternehmens handle. Und ich würde wohl kaum den Begriff „Phänomen“ niederschreiben, wenn mir das nicht noch öfter passiert wäre. Ich frage mich, wie viele weebly-Nutzer, Groupon-Abonnenten und andere Verfolger digitaler Werbedienste sich regelmäßig sozial verpflichtet fühlen, zu ihren vormals nur halbherzigen Mitgliedschaften zurückzukehren, nur weil sie im richtigen – oder falschen – Moment mit solchen e-Mails bombardiert werden. Ich frage mich auch, wie viele Menschen die Worte „Ich vermisse dich!“ bald nicht mehr ernst nehmen werden, weil sie den alltäglichen Spam kaum noch von wahrhaft ernst gemeinten Herzensbekundungen trennen können. Erst waren es die SMS-Abkürzungen, die uns diesbezüglich abgestumpft haben. „Hdl“ und „Ild“ schreiben sich schließlich viel schneller und einfacher, als dem Gemeinten das Gemeinte tatsächlich ins Gesicht und in die Augen zu sagen. Heute ist es das alltägliche Betreffszeilen-Bombardement, dessen Inhalt für uns so verflacht wird, dass wir ihn im wahren Leben kaum noch für voll nehmen. Das gilt für Kettenmails mit Bitten um Knochenmarkspende und Social-Network-Postings mit Bildern von verhungernden Kindern meiner Meinung nach genauso, wie für die etwas schlichteren Pseudo-Gefühlsäußerungen von Mailversandprogrammen. Nicht, dass man auf solche Probleme nicht aufmerksam machen darf oder soll, aber de facto halten viele die Inhalte inzwischen schon deshalb für falsch, eben weil sie durch diese Medien zu ihnen gedrungen sind. Also: Vermissen? Gerne! Darüber schreiben? Auf jeden Fall! Aber bitte nur, wenn es wirklich so gemeint ist und nur von einem empfindsamen Individuum, das die Bedeutung dieses Gefühls auch tatsächlich versteht. Von gefühlsfähigen Maschinen und Programmen sind wir schließlich noch ziemlich weit entfernt.
Es ist schon wieder passiert. Ein Flugzeug ist in Oviedo gelandet und hat uns jemanden mitgebracht. Dieser jemand ist natürlich nicht irgendwer – in eifrigen Nadineinspanien-Leserkreisen ist er, bzw. sie auch als ‚DieSchwester’ bekannt, was unsere Beziehung zueinander wohl hinreichend beschreibt. Also: Meine Schwester hat uns besucht!
Das ist nun schon wieder mehr als eine Woche her. Die Eindrücke, die wir in diesen wenigen Tagen gesammelt haben, sind aber längst noch nicht verflogen. Wir hatten nämlich Glück. Asturien hat sich von seiner besten Seite und uns seine schönsten Sehenswürdigkeiten im besten Licht gezeigt. Das heißt natürlich nicht, dass wir immer nur Sonnenschein gehabt hätten, aber gerade in den Bergen kann so ein bisschen Nebel schon mal ganz besondere Wirkung entfalten. Fangen wir von vorne an:
Ich hatte sie ja erst gar nicht gesehen. Die Lautsprecher am Flughafen hatten bis jetzt erst die Landung des vorherigen Flugs aus London angekündigt, sodass ich nichtsahnend auf einem Stuhl saß und an meiner Cola nippte, als sie plötzlich neben mir stand. Wir hatten noch mehr als eine Stunde Zeit und ich entschied, ihr gleich mal eines der typischsten Merkmale dieses kleinen Landes zu zeigen, die gestelzten Getreidespeicher namens Hórreos – Richtig, man spricht es fast genauso wie den bekannten Schokokeks, aber es ist eben kein Oreo, sondern ein ziemlich großes Holzhäuschen, dass zum Schutz vor Nage- und anderen Tieren mehrere Meter über der Erde steht und nur über eine Betontreppe zu erreichen ist. Damit war der erste Haken im Reiseführer schon mal gesetzt.
Zurück in Oviedo machten wir einen kleinen Stadtspaziergang. Neben zahlreichen Kirchen und Statuen widmeten wir uns natürlich auch den asturischen Köstlichkeiten: Die Speisen wurden wohlwollend aufgenommen; dass beim kunstvollen Eingießen der Sidra aus Kopfhöhe ins hüfthoch gehaltene Glas öfter mal etwas daneben ging und den Boden besprenkelte dann doch eher nicht. Aber man kann eben nicht alles mögen.
Ein etwas weiterer Ausflug führte uns dann auf die Picos de Europa – eine Bergkette, in deren Inneren sich ein kleiner, klarer See auftut und noch schneeumhüllten Gipfel auf seiner Oberfläche spiegelt. Der blaue Himmel tat sein Restliches dazu, um die Landschaft malerisch zu verschönern.
Nach einem kurzen Abstecher zur Höhle von Covadonga fuhren wir zum fuhren wir weiter zum Aussichtspunkt ‚Mirador de El Fito’, wo uns gleich zwei Überraschungen erwarteten. Die erste setzte sich zusammen aus einer Gruppe von acht großen, spitzhörnigen Kühen, die von ihrem Besitzer im Gänsemarsch durch die Landschaft gerufen wurden. Da gab es keine Stöcke oder Lockkmittel. Alles was er machte, war sich auf eine Anhöhe zu stellen und nach ihnen zu rufen. Als sie kamen, setzte er sich wieder ins Auto zu seiner Familie und fuhr zur nächsten Anhöhe, während wir den Tieren staunend hinterher sahen und dem Läuten ihrer Kuhglocken lauschten.
Ob sie wohl von unserer Reiseverpflegung probieren wollen?
Die zweite Überraschung auf dem ‚Mirador’ war die Aussicht. Von früheren Besuchen wusste ich, dass man von hier aus gleichzeitig die Berge und das Meer sehen kann. Dieses Mal blieb uns dieser Anblick allerdings verwehrt. Stattdessen konnten wir ein anderes Schauspiel betrachten: Der Nebel, der aufgekommen war, floss ruhig und gemächlich von den Bergspitzen hinunter und legte sich über das Land. Es sah aus wie Zuckerwatte, weiße Zuckerwatte, die sich langsam den Weg durch die Baumwipfel bahnte.
Nach diesem Anblick schlossen wir den Ausflug mit einem gemütlichen Picknick am Strand ab.
In den folgenden Tagen machten wir zunächst Oviedo unsicher, stürmten das größte Shopping-Center in der Nähe und wanderten gemütlich durch die Altstadt, um uns abends von Naranco aus alles noch einmal von oben anzusehen. Noch einmal schlafen, und schon ging es nach Grado in ‚meine’ Bibliothek – in der sich die Lage leider noch kein Stück verbessert hat – und durch das kleine aber feine Stadtzentrum. Nachmittags nahm uns ein Kollege mit nach Gijón, wo wir die Strandpromenade entlang wanderten, die Altstadt bewunderten und uns durch das Gewühl der öffentlichen Verkehrsmittel schlugen um letztendlich tatsächlich an der erstaunlicherweise sehr belebten ‚Universidad Laboral’ anzukommen.
Zum Abendessen entführte uns mein spanischer Privatführer dann in ein Restaurant in der Nähe eines Schauplatzes von ‚Volver a empezar’ – Oscargewinner für den besten ausländischen Film des Jahres 1983! Die entsprechende kleine Brücke und den Waschplatz haben wir uns natürlich auch noch angesehen, bevor es endgültig nach Hause ging. Und schon war der Besuch wieder vorbei. Ein weiteres Flugzeug erhob sich in die asturischen Lüfte und trug meine Schwester sicher wieder zurück nach Berlin.