Den Zwiebelfischen auf der Spur
Selbst wenn man in einem anderen Land ist, eine neue Sprache lernen muss und sich in völlig neuen Verhältnissen befindet, passiert es früher oder später, dass sich ein kleines Gespenst namens „Alltag“ in das Leben einschleicht. Und dieses Gespenst tut dies mit Vorliebe an Werktagen wenn es einen regelmäßigen Rhythmus gibt. Dort fühlt es sich wohl, nistet sich ein und nagt ganz genüsslich am großen dicken Kuchen, der sich wiederum „Das Abenteuer“ nennt – solange, bis es ihn ganz und gar aufgefuttert hat. Aber soweit wollen wir es nicht kommen lassen. Deshalb dienen die Wochenenden dazu, dem Gespenst gehörig den Gar auszutreiben oder doch zumindest es für eine Weile fortzuscheuchen, sodass man sich innerhalb der Woche sogar damit anfreunden kann.
Und da ich mich ja derzeitig in unmittelbarer Nähe zum Atlantischen Ozean befinde und das Wetter am Samstag gar nicht mal so schlecht war, diente uns der Strand als willkommene Abwechslung – ja, es war wieder ein anderer. La Isla hieß diesmal das Ziel unserer kurzen Reise, wo wir nicht nur mit den Wellen kämpften, sondern auch mit den Fischen schwimmen konnten. Das kleine, von Felsen geschützte Meeresbecken gleich nebenan beheimatet nämlich nicht nur Algen und Korallen unterschiedlichster Farbgebung, sondern eben auch kleine Flossentiere, die man – hat man denn einen Schnorchel dabei – ganz wunderbar beobachten kann.
Den Zwiebelfisch, der sich im Titel schon ankündigt, sezierten wir dagegen am Strand – auch natürlich ist dies metaphorisch zu verstehen. Wer denn die Kolumne von Bastian Sick zu schätzen weiß, dem wird sicher auch dessen Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ bekannt sein, das wir ganz zufällig mit im Gepäck hatten. Aufgrund seines Vorwortes zum inzwischen dreiteiligen Gesamtwerk entspann sich an dieser ungewohnten Umgebung eine herbe Diskussion darüber, ob der Herr Sick denn nun selbst nicht ganz fehlerfrei sei, oder ob seine Schreibweise eines sehr berühmten Romanhelden nicht doch eher in Deutschland genau so üblich und damit gerechtfertigt sei. „Don Quichotte“ und „Sancho Pansa“ heißen sie bei ihm. Eine Schreibweise, die dem Französischen entlehnt ist, aber dennoch „falsch“, im Vergleich zum originalsprachlichen „Don Quijote“ und „Sancho Panza“. Nun ist es aber so, dass die Spanier nun bei Gott nicht alles so aussprechen, wie es denn in der ursprünglichen Sprache gedacht war. Und dass fiktive Personen zuweilen in der Übersetzung ihre Namen ändern, ist auch nicht ganz neu. Da wird Peter, aus „Peter und der Wolf“ mal schnell zum Pedro (ok, mit einem Originalnamen in kyrillisch kann man da schlecht gegen argumentieren), „Hänsel und Gretel“ werden zu „Hansel und Gretel“ und die Ritter des Rechts, „Chip und Chap“ zu „Chip y Chop“. Im Übrigen heißen diese beiden im Original „Chip and Dale“, sodass uns spätestens hier klar sein muss: In fiktiven Welten gibt es keine festen Namen. Sie werden adaptiert und angepasst. Besonders in Filmen oder Büchern für Kinder ist es eben wichtig, dass sie ihre Helden überhaupt irgendwie aussprechen können, um sich mit ihnen zu identifizieren. Und da der verrückte Don Quijote sich sogar als „Ritter von der traurigen Gestalt“ bezeichnen lässt, wird er mit „Don Quichotte“ wohl gerade so leben können.
nadinemes am 23. August 11
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"Meine" kleine Bibliothek
Solche und ähnliche Fragen kennen viele: „Wie? Du kommst aus Berlin und dann ausgerechnet hier her???“ Wie kommt es, dass eine junge deutsche Frau ihre Heimat gegen ein Praktikum im doch sehr kleinen 10 000 Seelen-Ort Grado eintauscht? Es ist wohl klar, dass eine solche Entscheidung nur mit Herzensdingen zu tun haben kann. Und doch habe ich das Gefühl, dass mehr dahinter steckt. Von den 22 Bibliotheken und Bibliotheksverbünden, bei denen ich mich Anfang diesen Jahres beworben hatte, haben nur drei geantwortet. Eine Antwort hieß: „Da bin ich nicht zuständig, fragen sie...“ Eine Weitere lautete schlicht und einfach nur „Nein“ und weitere 19 Bibliotheksleiter hüllten sich in Schweigen. Ganz anders der junge, engagierte Leiter des Centro de Cultura in Grado. Er bot mir nicht nur sofort einen Praktikumsplatz an, er kämpfte sich mit mir und den Kollegen von Leonardo DaVinci, welche mir mittels Stipendium mein Praktikum finanzieren, durch etlichen Schreibkram und schaffte es schlussendlich sogar, den Bürgermeister davon zu überzeugen mir ein Mindestgehalt von 150 Euro zu zahlen. Dies ist nämlich Grundvoraussetzung für die Zahlung des Stipendiums. Leonardo möchte, dass der Praktikant nicht als kostenlose Arbeitskraft ausgenutzt wird, sondern als wertvoller Teil des Unternehmens gilt.
Das Engagement, dass mir Gustavo, eben jener Leiter, entgegenbrachte, zeigt er – wie ich nach inzwischen einer Woche Arbeitszeit feststellte – in allen Bereichen seiner Arbeit. Dass die finanzielle Lage Spaniens nicht besonders gut aussieht und sich dies natürlich zuerst in den öffentlichen Ämtern und sozialen Einrichtungen niederschlägt, muss hier wohl nicht weiter erwähnt werden. Umso überraschter war ich von der Bibliothek, in welcher ich derzeit arbeite. Man kann nicht sagen, dass sie groß wäre. Dafür quillt sie aber an allen Ecken und Enden über mit Büchern. Bereits seit einem Jahr wurde hier kein Buch mehr gekauft – es gibt kein Geld mehr dafür vom Rathaus. Die vielen Kisten, die sich im kleinen Archiv stapeln und noch immer keinen Platz in den Regalen finden, stammen entweder aus der guten alten Zeit, oder aus der Hand dankbarer Leser. Erst gestern strahlte eine Leserin über das ganze Gesicht über eine dieser Spenden. Sie hatte nun endlich zwei Bücher aus einer Reihe bei uns gefunden, die sie seit Jahren suchte, und die im Handel bereits nicht mehr zu haben sind. Es sind also nicht immer die Neuerscheinungen, die den Wert einer Bibliothek ausmachen, manchmal sind es einfach die mit Liebe gehegten und gepflegten Exemplare, die man nur schweren Herzens abgibt.
Außerdem sind es die persönlichen Beziehungen, die hier aufgebaut werden. Zum einen zwischen dem Leser und der Bibliothek, zum anderen zwischen den Lesern untereinander. Viele Veranstaltungen und Initiativen hier werden von den Lesern selbst ins Leben gerufen oder zumindest mit getragen. Dazu gehört der Club der Bücher, der jährliche Spaziergang auf den Spuren des Namensgebers der Bibliothek: Valentín Andrés Álvarez, Gedichtwettbewerbe mit anschließender Publikation der besten Einsendungen im Buchformat, Märchenstunden für Kinder sowie ein Wettbewerb zur Gestaltung von Lesezeichen, die dann ebenfalls produziert werden. Im Prinzip läuft hier also alles nach dem Low-Cost-Prinzip, wobei jeder tut, was er kann. Tatsächlich ist nur der Chef dieses gesamten Kulturzentrums gelernter Bibliothekar. Alle anderen Mitarbeiter haben zeitlich begrenzte Arbeitsverträge für weniger als ein Jahr und kommen aus unterschiedlichen Professionen. Und trotzdem sind die Erfolge sichtbar und spürbar. Die Bibliothek wird reichlich genutzt, es wird viel entliehen, fast ständig befinden sich Nutzer in den Lesesälen. Mir scheint, als könne man aus dieser Bibliothek tatsächlich einiges lernen. Nicht über moderne Bibliotheksausstattung oder Best-Practise im Katalogisieren, sondern vielmehr darüber, als dem wenigen viel zu machen und, mit einem offenen Ohr für die Nutzer, alles zu ermöglichen, was irgendwie denkbar ist. Davon können wir uns in Deutschland gerne noch eine Scheibe abschneiden.
nadinemes am 20. August 11
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