Dunkles zu sagen...
Möglicherweise ist einigen von euch nicht entgangen, dass dieser obige Titel nicht entgangen, dass dieser obige Titel nicht allein aus meiner Feder stammt. Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann veröffentlichte 1953 in ihrem Band: „Die gestundete Zeit“ ein Gedicht mit eben diesem Namen. Dieses ist auch eines der wenigen Gedichte, von denen ich eine spanische Übersetzung frei im Netz verfügbar finden konnte. Offensichtlich hatte es einen starken Einfluss auf die Leser. Und auch in Deutschland gilt Ingeborg Bachmann als eine der wichtigsten Lyrikerinnen deutschsprachiger Literatur.

Die Grundstimmung dieses Gedichts ist sehr negativ, was ich nicht textlich belegen muss, weil schon der Titel dies impliziert. Es ist auch nichts anderes zu erwarten, geht man von der Zeit aus, in der die Autorin lebte und dem engen Verhältnis, das sie auch mit dem Lyriker Paul Celan verband, dessen Lebensgeschichte zwischen Deportation, Arbeitslagern und Poesie ihr werk stark geprägt haben. Dieses Gedicht ist auch eines von jenen, die ich für die Ausstellung über Deutsche Lyrik hier in der ‚Biblioteca de Grado’ in Betracht gezogen habe. Es reiht sich ein in eine Folge von Gedichten, deren Grundton farblich zwischen sanften Grau und tiefem Schwarz liegen.

Während meiner Recherchen ist mir aufgefallen, dass zumindest seit der Zeit des Sturm und Drangs und der Klassik in Deutschland scheinbar kein fröhliches Gedicht mehr geschrieben wurde. Natürlich ist das ein verfälschter Eindruck. Mir ist durchaus bewusst, dass die Regale deutscher Büchereien und Bibliotheken voll stehen mit Liebeslyrik, Naturpreisungen und einfachen Danksagungen an das Leben. Allerdings: Die spanischen Übersetzungen, die man im Internet finden kann, zeigen nur einen Bruchteil der Dichtung und gerade die des zwanzigsten und auch des einundzwanzigsten Jahrhunderts sprüht nicht gerade vor Lebensfreude.

Die Beispiele, die mir da vor Augen gekommen sind, stammen nicht nur aus der Zeit der Verstädterung, der Weltkriege und der Nachkriegszeit, auch moderne Vertreter deutscher Lyrik wie Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger und Durs Gründbein habe ich hier in Original und Übersetzung schön gebunden, durchwühlt, ohne auch nur eine Lobpreisung des Lebens, ein verträumtes Liebeslied oder schlichtweg, etwas nicht gesellschaftskritisches zu finden.

Ich sehe verschiedene Gründe für solcherart Tendenzen. Zum einen glaube ich wirklich, dass Dichter dieser Zeit gerne zu Kritiken neigen. Zum anderen wird natürlich nicht das gesamte poetische Schrifttum moderner Zeit gleich aus dem deutschen ins Spanische übertragen. Zuallerletzt aber, und das halte ich für eine markante Entwicklung, wird das Fähnchen „wertvolle Literatur“ von uns Deutschen doch prinzipiell nur an Werke und Autoren vergeben, die einen Inhalt in sich tragen, der uns aufrütteln soll. Einen Inhalt, der uns unseren teils absurden Alltag vor Augen führen soll oder die Leidenschicksale oder Fehler unserer Ahnen.

Da mag die Spiegel-Bestseller-Liste ja gerne sagen, was sie will: Ein Buch wie „Feuchtgebiete“ wird niemals in Marcel Reich-Ranickis Kanon landen. Und ich bezweifle auch, dass es in fünfzig Jahren noch in irgendeiner Literaturgeschichte auftauchen wird. Das halte ich nicht unbedingt für tragisch. Ich frage mich aber schon, warum jene Titel, die ich in solchen Literaturgeschichten lesen kann, oder die Titel, über die wir während des Literaturstudiums gesprochen haben, immer irgendetwas mit Tod, mit Verderben, mit der Verrohung der Menschheit und mit gesellschaftlichen Missständen zu tun haben. Selbst Wikipedia scheint in dem Artikel „Deutsche Literatur“ nur zeitgenössische Autoren zu nennen, deren Werke wohl als schwer und ernst zu bezeichnen wären, durchaus auch als „gut“, aber nicht zwingend als „schön“.
Hat nicht mal jemand gesagt, dass der Betrachter schöner Kunst sein Wesen selbst zum Guten wandelt? Wäre es dann nicht durchaus erstrebenswert, Literatur mit positiven Gedanken zu füllen und den Leser damit ein bisschen glücklicher zu machen? Oder anders: Sollte man nicht dann eben solche Bücher mindestens ebenso sehr schätzen und achten, wie die kritischen Werke?

Immerhin bin ich persönlich der Meinung, dass Literatur den Gefühlszustand der Leser ganz erheblich beeinflussen kann. Natürlich wird der Leser kritischer Literatur in die Welt hinausgehen, sein Auge öffnen und die Welt zu verändern versuchen, wo er nur kann. Allerdings wird ein glücklicher Leser in die Welt hinausgehen, sein Glück mit anderen Menschen teilen und das Zusammenleben auf diese Weise zumindest partiell verändern und verbessern. Wäre ein offenes Herz nicht ebenso erstrebenswert wie ein kritischer Kopf? Und sollten wir dann nicht auch Werke, die solches bewirken können, mit in unseren Kanon aufnehmen?
Also ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir nicht mehr schüchtern den Kopf senken, wenn uns bei der Frage, was wir gerade lesen würden, wieder nur der Titel eines Liebesromans einfällt. Oder der eines humoristischen Kurzgeschichtenbandes. Oder sogar der eines Kinderbuches. Es muss uns nicht peinlich sein, nicht in jedem Augenblick unseres Lebens die Schwere und Ernsthaftigkeit um uns zu scharen, sonder auch einfach mal mit einem freudigen Seufzen ein Buch weglegen zu wollen. Und genau deshalb werde ich auch jetzt beherzt wieder zu meiner Lektüre der „Hühnersuppen für die Seele“ greifen. So!




nadinemes am 17.Sep 11  |  Permalink
Kurz dazu...
Ich weiß, ich hatte eigentlich versprochen, mehr über meine Kollegin etc. zu schreiben. Aber dieser Beitrag schwirrte mir jetzt schon seit Tagen im Kopf herum und musste raus. Das nächste mal gibt es dann wieder etwas mehr über mein Leben hier und die aktuellen Begebnisse.

rikchen am 20.Sep 11  |  Permalink
Dunkles zu schreiben!
So, jetzt hab ich mir doch einen Account zugelegt! :D

Zu deinem Beitrag: Das Problem ist nicht, dass wir Deutschen nur Dunkles lesen wollen, oder uns unbedingt mit ernsthafter Literatur umgeben wollen, das Problem ist viel mehr, dass unsere großen Autoren der deutschen Literatur alle vor einem Problem stehen: Schreib spannend! Jedem der schon mal eine Feder in die Hand genommen hat und versucht hat etwas lesenwertes aufs Papier zu bringen, fällt früher oder später auf, dass das gar nicht so einfach ist. Am besten gehts, wenn man viel Tragik oder Schmerz einfließen lässt, aber nicht den hübschen Herzschmerz, denn dann klappt der Leser das Buch zu, sagt mit einem erheiterten Lächeln: "Was für ein Kitsch" und vergisst das Buch wieder. Das Dumme am Menschen ist, dass er sich an das Unglück viel detaillierter erinnern kann, als an all die vielen kleinen Glücksmomente und das Blöde für den Autor ist, dass er schon wirklich unheimlich begabt sein muss, um einen solchen Glücksmoment im Gedächtnis des Lesers zu verankern. Das ist der Grund warum wir lieber dunkle Geschichten schreiben.

nadinemes am 25.Sep 11  |  Permalink
Ein Kommentar, ein Kommentar!
Juchuh, ein neuer Kommentator ;)
Du hast absolut recht in dem was du sagst. Momente der Angst und der Verzweiflung sind für den Menschen immer prägender als die des Glücks und so läuft es wohl auch mit der Literatur.
Allerdings: Warum sind dann die Bücher unserer Comedians alle so beliebt? Mario Barth, Dieter Nuhr, Harpe Kerkeling - die schreiben doch auch Rekordzahlen mit ihren verkauften Büchern, gerade weil wir ja auch mal "was Leichtes" brauchen. Und die Kinderbücher von früher? Die haben uns doch eigentlich auch immer sehr geprägt, obwohl es meistens alles ein glückliches Ende nahm, was uns in den Gute-Nacht-Geschichten erzählt wurde. Ich denke, diese Dinge prägen unserern Charakter ganz enorm, geben den Glauben an das Positive und dass alles am Ende wieder gut wird. Wir erinnern uns nur nur nicht mehr richtig daran. Ich bin jetzt mal so frei und empfehle da einen Autor, der leider auch nicht aus Deutschland stammt, aber dessen Bücher zum glücklichen Träumen einladen, und der sprachlich meiner Meinung nach so gut ist, dass man ihn gerne in einen Kanon stecken kann: Sergio Bambaren (Der Traum des Leuchtturmwärters). Ich hoffe, ich finde ähnliches auch bald aus deutscher Feder.