Freitag, 3. Juli 2020
Nimm den Druck raus
Profesionalität ist ein großes Wort. Wir erwarten sie von allen, am meisten aber von uns selbst. Wie oft stellen wir die Arbeit vor unser Privatleben, weil es eben so sein muss? Aber muss es das denn? Als mir meine kleine Tochter das erste Mal in meine Homeoffice-Lehre dazwischenfunkte, gefiel mir das überhaupt nicht. Ich möchte schließlich qualitativen Unterricht geben, sofern das online überhaupt möglich ist, und da passte mir so ein lautes, für alle Schüler deutlich hörbares, "Bist du fertig, Mama?" nicht ins Bild. Aber warum eigentlich nicht? Für die Schüler war es ein Grund zum Schmunzeln, eine kleine Auflockerung und sicherlich nicht besonders störend - meine Nachbarn mit ihrem Hämmern und Bohren belasten da schon mehr.
In der Erziehung geht es mir oft ganz genauso. Die Dinge werden gemacht, wie sie gemacht werden müssen. Und wie genau sieht das aus? Darauf hat jeder seine eigenen Antworten und keine stimmt miteinander überein. Muss man eigentlich immer um 8 Uhr aufstehen? Im Moment gibt es dazu keinen triftigen Grund, ausser vielleicht, dass die Mittagsschlafzeit sich sonst zu weit nach hinten verschiebt. Aber was spricht denn dagegen, dem herzzerreißenden "Ich möchte noch ein bisschen kuscheln!" nachzugeben? Oder einem "Ich möchte jetzt den Boden wischen!". Klar habe ich in diesem Moment dann erstmal etwas mehr Arbeit, die Pfützen im Bad wieder wegzukriegen, aber wer weiB, vielleicht entwickelt sich dieses Verhalten ja so weiter, dass ich in zwei oder drei Jahren eine richtige kleine Haushaltshilfe habe. Summa summarum glaube ich wirklich, dass es sich lohnt, scheinbar klare, allgemeingültige Normen einfach mal zu hinterfragen. Ich wenn ich auf das traurige "Warum?" meiner Tochter keine ehrliche und sinnvolle Antwort geben kann, dann hatte die Regel vielleicht doch nicht so viel Bestand. Und dann nehme ich den Druck raus, gebe nach und stelle fest, dass die Welt trotzdem nicht untergeht.



Sonntag, 3. Mai 2020
Kuriositäten
Eines der prägendendsten Bilder, die ich in den letzten Wochen gesehen habe, hätte ich sehr sehr gerne auch fotografisch festgehalten, aber ich bezweifle, dass mein Motiv damit einverstanden gewesen wäre. Es handelte sich um eine ältere Frau, schön gekleidet und geschminkt, gepflegt und elegant - die am Fenster ein bisschen Frühlingssonne genießen wollte, allerdings hinter Gittern. Ich habe sie auf einem kleinen Umweg zum Fischladen entdeckt, den ich machte, um etwas mehr Bewegung zu bekommen und auch meiner Tochter etwas mehr Bewegung zu verschaffen. Natürlich bin ich dabei nicht an einer Haftanstalt vorbeigekommen, vielmehr ist es hierzulande üblich, dass die untersten Fenster eines Gebäudes mit fingerdicken, aber schön geformten Eisenstangen geschützt werden, damit mögliche Einbrecher es nciht so leicht haben. Und so saß sie also, die Dame, ihr Gesicht vom Schatten der Gitter gemustert in der Sonne, mit halb geschlossenen Augen und das kleine bisschen Freiheit nutzend. Nun darf sie auch wieder spazieren gehen, aber etwas sagt mir, dass die trotzdem noch ab und zu so aus dem Fenster sehen wird.
Andere Kuriositäten sieht man natürlich auch durch den online-Unterricht, der plötzlich die privaten Wohnräume zu Lehrräumen macht. Da schaut man in Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küchen, je nachdem, wo der jeweilige Schüler das beste Internet hat. Endlich habe ich jetzt eine Vorstellung von der Drachendeko an der lila Wand, von der mir eine Fortgeschrittene so begeistert erzählt hat. Und einmal pro Woche frage ich mich auch, warum mein zwölfjähriger A1-Schüler immer einen Koffer auf seinem schön gemachten Bett zu liegen hat, als wolle er in der nächsten Minute zu einer Reise aufbrechen - nicht, dass er dürfte. Auch kurze Besuche der Familienmitglieder regen sowohl mich als auch die Mitschüler immer wieder zum Schmunzeln an: Kann man nicht auch noch nach der Deutschstunde fragen, ob der Junge einen Kakao trinken möchte? Und könnte man nicht auch noch einen Moment warten mit dem Sandwich, dass man sich in der Küche schmieren will, in der die Schülerin gerade sitzt? Mein bisheriges Highlight war natürlich der Universitätsstudent, der im hinteren Bereich des Zimmers sein Handy an die Steckdose steckt und dabei nicht bedenkt, dass man ihn in T-Shirt und Unterhose in ganzer Pracht sehen kann, wenn der Schreibtisch seine Beine nicht mehr verdeckt. Zum Glück weiß ich inzwischen, wie man Video und Audio der Sitzungsteilnehmer ausschalten kann, wenn es allzu privat wird. Manchmal behalte ich mir allerdings vor, dieses Wissen eben nicht zu nutzen - Ein bisschen Spaß muss sein!



Sonntag, 26. April 2020
Privilegiert
Nun gehören auch wir zu der Gruppe der Privilegierten. Bisher durften ja nur Hundebesitzer zum Spazieren rausgehen. Jetzt haben Eltern der Kinder unter 14 das gleiche Recht eingeräumt bekommen. Ab heute dürfen wir eine Stunde pro Tag mit unserer Tochter rausgehen, bis zu einem Kilometer vom Wohnort entfernt. Der Unterschied war deutlich zu merken. Überall Kinder, die Fußball spielen, spazieren gehen, mit Masken, ohne Masken, mit Handschuhen, ohne Handschuhe ...
Je nachdem, wie die Eltern es sehen und festlegen und auch je nachdem, was die Leute zur Verfügung haben. Denn nicht jeder hat Masken zu Hause, sie sind schwer zu bekommen, zeitweise sogar gar nicht, zumal ja auch nicht jeder die gleichen Möglichkeiten hat.
Denn im Gegensatz dazu, was oft gesagt wird, und was auch ich mehrmals gedacht und auch schon gesagt habe, sitzen wir nicht alle im gleichen Boot. Gerne würde ich den Autor der folgenden Gedanken würdigen, aber er ist anonym. So bleibt mir nichts übrig, als die ursprünglich spanisch formulierten Gedanken kurz und knapp zusammenzufassen und ihm so meinen Tribut zu zollen. Demzufolge, erleben wir alle den gleichen Sturm, sitzen aber nicht alle im gleichen Boot. Für manche ist es einfach eine organisatorische Herausforderung, den Job und die Familie in Einklang zu bringen, wenn Schule und Kindergarten geschlossen sind, was ja durchaus anstrengend genug ist. Andere bangen derzeit um ihre Jobs und wissen nicht, woher sie das Geld für die nächste Miete nehmen sollen. Von einem Tag auf den anderen wurden ihre Geschäfte geschlossen und um etwas auf die hohe Kante zu legen, war nie genug übrig.
Manche nutzen die freigewordene Zeit, um sich fit zu halten. Ab Mai soll man ja auch hier wieder dafür das Haus verlassen dürfen. Andere sind hilfebedürftig - bekommen keine Therapien und Anwendungen mehr und sehen sich selbst bei der Verschlechterung ihrer Situation zu. Die regelmäßige Physio fehlt und was vorher schon nicht mehr richtig funktionierte - Beine, die nicht mehr gehen wollten, Hände, die nichts mehr greifen konnten, ein Mund, der keine Worte mehr fassen kann - ohne fehlendes Training immer weiter verfallen.
Und selbst die, die ihnen am nächsten stehen, können oder dürfen nicht helfen, haben Angst, dadurch noch viel Schlimmeres zu bringen. Ein Teufelskreis. Da kann man wirklich nur hoffen, dass die Ärzte bald einen Ausweg finden, damit unsere Schwächsten - auch wenn sie sich gar nicht anstecken - nicht an den Folgen dieser Krise vergehen.



Sonntag, 19. April 2020
Nachbarschaft
Wir kommen vorwärts. Nachdem wir in der letzten Woche bereits zum Spazierengehen hinausgehen konnten, ist es jetzt auch wieder erlaubt, sich in das Auto zu setzen und innerhalb Asturiens kleine Reisen zu unternehmen. Die Polizei lässt etwas lockerer, Kontrollen auf der Straße habe ich in den letzten Tagen nicht mehr gesehen. Dafür ist die Nachbarschaft umso aufmerksamer. Jedes Kind bis 12 Jahren darf offiziell zwischen 12 und 19 Uhr für insgesamt eine Stunde frische Luft schnappen. Senioren und Seniorinnen können dagegen bis 12 Uhr und dann eben wieder ab 19 Uhr das Haus verlassen, wenn es nicht etwa zum Einkaufen ist. Damit soll gewährleistet werden, dass die vermeintlichen Virenschleudern nicht die Wege der Risikogruppen kreuzen.

"Gehst du denn heute schon zum zweiten mal raus?", heißt es dann dem zweijährigen Kind gegenüber, wenn es abends noch einmal mit dem Papa rausgeht. "Ist das denn Ihre Uhrzeit zum Spazierengehen?", muss sich die Rentnerin anhören, die zehn nach zwölf noch am Fischladen vorbeigeht. In diesen Fällen muss man nur hoffen, dass diese wohlmeinenden Hinweise nicht kurze Zeit später am Telefon der Polizei übermittelt werden. Big Brother is watching you.

Aufmerksame Nachbarn sind es natürlich auch, die Supermarktmitarbeiter, Ärzten und Krankenschwestern freundliche Zettel an der Tür hinterlassen. Hier werden diese dann gebeten, zum Wohle der Nachbarschaft ihre Wohnungen zu verlassen - schließlich ist es bei ihren Tätigkeiten sehr wahrscheinlich, dass sie sich mit dem Virus infizieren und daher könnten sie ja die ganze Hausgemeinschaft mit anstecken. Da frage ich mich doch, wo sie denn dann alle hinsollen, die Helden unseres derzeitigen Alltags, für die andererseits jeden Abend geklatscht wird. Und ob es dieselben Hände waren, würde ich auch gern wissen; die Hände derjenigen, die klatschen, und die Hände derjenigen, die solcherart Nachrichten verfassen. Rettet unsere Kranken, aber kommt uns nicht zu Nahe!



Freitag, 17. April 2020
Eigentlich...
Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit zum Schreiben. Und eigentlich ist dieser Blog auch schon viel zu alt und viel zu lange verlassen, um jetzt wie eine kalte Suppe wieder aufgewärmt zu werden.
Aber was hier und überall auf der Welt im Moment passiert, ist tatsächlich der Rede wert und daher kann ich mich kaum zurückhalten.
Mein letzter Eintrag in diesem Blog ist viele Jahre her. Seitdem ist viel passiert. Zwar wohne ich noch in der gleichen Stadt und gehe der gleichen Tätigkeit nach, aber ein kleiner Wildfang ist in unser Leben getreten und hat dieses ordentlich aufgewirbelt.
Dementsprechend hat sich mein Tagesablauf ziemlich verändert. Kinderbetreuung, Haushalt und Arbeit nehmen mich stark in Anspruch und lassen wenig Zeit für anderes. Dass die Kleine in den Kindergarten kam, war für mich somit eine große Entlastung. Ein paar Monate lang, immerhin... doch dann kam Corona.
Wir haben uns Mitte März entschieden, unsere Tochter vorsichtshalber aus dem Kindergarten zu nehmen. Zwei Tage später bekam ich die Information, dass dieser komplett geschlossen würde - auf unbestimmte Zeit. Auch unsere Sprachschule - in der ich Deutsch unterrichte - musste schließen. Zum Glück können wir online weiterarbeiten. Viele unserer Schüler nehmen das Angebot gern an. Die Kurse verschaffen ihnen Ablenkung, geben ihnen Beschäftigung und eine Möglichkeit, einen kleinen Teil ihres bisherigen Lebens wie gewohnt weiterzuführen. Gleichzeitig versuche ich, ihnnen die Situation etwas schmackhaft zu machen, Vorschläge zu geben, wie sie die Zeit nutzen können und wie sie während der Ausgangssperre körperlich und mental gesund bleiben.
Denn bei uns handelt es sich, im Gegensatz zu Deutschland, tatsächlich um eine Ausgangssperre. Raus gehen darf nur, wer einen guten Grund dazu hat: Wer arbeiten muss, wer einkaufen muss, wer den Müll herunterbringen muss. Mehr ist nicht gestattet. Die Straßen werden von Polizisten kontrolliert. Mich persönlich hat noch keiner gestoppt, vermutlich sind sie eher in den Parks unterwegs, denn auch Freizeitsport jeder Art - egal ob in Gruppe oder allein - ist untersagt und wird mit Geldstrafen geahndet. Von meinem Fenster aus kann ich bewaffnete Polizisten sehen, die die Autos kontrollieren. Darin dürfen nämlich maximal zwei Personen sitzen, eine vorn, eine hinten, und natürlich muss die Fahrt auch gut begründet werden können. Diese Regelungen machen auch vor Familien nicht halt oder Angehörigen des gleichen Haushalts nicht halt.
Absurd ist es schon, denn natürlich dürfen wir mit dem Partner oder der Familie in der gleichen Wohnung wohnen bleiben, am selben Tisch essen, im selben Bett schlafen, aber ab der Wohnungstür ist dann Schluss mit trauter Zweisamkeit. Da hat man Abstand zu halten und am besten geht sowieso nur einer raus, der Rest wartet zu Hause.
Ich weiß nicht genau, ob die Situation in den Krankenhäusern hier so wesentlich schlechter ist, als in Deutschland. Die Maßnahmen, die dort realisiert werden, halte ich aber für sinnvoller, besonders auch, weil viele hier, die es einfach nicht zu Hause aushalten, jeden Tag zum Supermarkt oder zu den kleinen Geschäften gehen, um sich Bewegung zu verschaffen. Dort treffen sie allerdings auf wesentlich mehr Mitmenschen und kommen ihnen weitaus näher, als dies im nahegelegenen Park, am Strand oder im Wald der Fall wäre. Eine Ansteckung mit dem Virus ist also viel wahrscheinlicher.
Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels. Ab 27. April wird es wieder erlaubt sein, mit Kindern das Haus zu verlassen. Wie weit man sich dafür vom Wohnort entfernen darf, oder wie lange man unterwegs ist, ist dabei noch nicht genau geklärt. Trotzdem ist es für mich eine Erleichterung, zu wissen, dass ich mich nicht mehr wie ein Krimineller fühlen muss, wenn ich mit meiner Tochter einen Spaziergang mache.