Donnerstag, 3. Mai 2012
Demos, Generalstreik und was sonst noch wichtig ist
Gestern war der 1. Mai. „Tag der Arbeit“, „Maifeiertag“ oder „Kampftag der Arbeiterbewegung“, je nachdem in welchem Bundesland man gerade lebt, steht im Kalender dafür ein anderer Beiname. Traditionell ist es der Tag, an dem die Menschen in ganz Deutschland auf die Straße gehen um für die Rechte der Arbeiter zu kämpfen, so wie es bereits vor fast 150 Jahren in Australien und vor fast 120 Jahren in Nordamerika getan wurde. Auch damals ging es um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen: Damals um nur acht, statt zwölf Stunden Arbeit am Tag und ein Gehalt, das für mehr als nur ein mageres Essen am Tag reichen könnte.

Heutzutage kann eine solche Maidemonstration genauso einen kleinen, gemütlichen Spaziergang im Schutze pensionierter Gewerkschaftsmitglieder – und folglich in gediegener Geschwindigkeit mit begrenzter Länge des Ausflugs –bedeuten, wie kilometerlange Märsche mit anschließenden, ebenfalls traditionell gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Berlin Kreuzberg ist dafür eine berühmte Adresse, Steineschmeißen die noch berühmtere Form des Ausdrucks von Zorn und Verzweiflung. Aber stimmt das eigentlich?

Natürlich gibt es auch in Deutschland genug zu Murren und zu Meckern. Wer jedoch einmal die Nase raus und in andere Länder gesteckt hat, wird schnell merken, dass Beschwerden über unser soziales Sicherungssystem und die schwierige Arbeitslage Außenstehende schnell an einen bereits gängig gewordenen Spruch erinnern dürften: „Jammern auf hohem Niveau“. Natürlich ist es schwierig, sich mit dem dürftigen Hartz IV-Satz ein angenehmes Leben zu gestalten. Schwieriger ist es jedoch für die zahllosen Arbeitslosen in den Südländern, die nach Zahlungsende des Arbeitslosengeldes schlichtweg gar nichts mehr bekommen. Da zieht dann mal schnell eine dreiköpfige Familie zurück in die Wohnung der Eltern. Oder man sucht sich ein nettes, leerstehendes Haus und macht es sich dort so gut es geht gemütlich. Not macht erfinderisch, aber sie bringt auch Verzweiflung mit sich und damit auch immer Wut und Aggression.

Die Maidemonstrationen hier in Spanien gingen trotzdem friedlich zu. Etwa eine Million Menschen marschierten in zahlreichen Städten von der Sonne in den Regen, fast 100.000 davon allein in Madrid. Beim Generalstreik vom 19. März 2012 dagegen waren laut Gewerkschaftsangaben fast 10 Millionen Demonstranten in ganz Spanien auf den Straßen. Diesen Streik konnte man tatsächlich weder überhören, noch übersehen. Bereits am späten Vorabend waren vereinzelte Gruppen durch die Straßen gezogen. Der Busverkehr wurde gestoppt, die Bahn stand still, Läden wurden geschlossen. Wer seinen Laden nicht schließen wollte, wurde dazu veranlasst, sei es durch Drohungen oder mehr – aber das sind Gerüchte.

Fakt ist, dass am 19. März nichts fuhr, dass der Müll nicht abgeholt wurde, dass die Straßen nicht gereinigt wurden, dass sämtliche Läden geschlossen waren. Viele Menschen, die in dem Streik keinen Sinn sahen und zur Arbeit gehen wollten, bekamen keine Möglichkeit dazu – entweder sie kamen dank Autobahnsperrungen und schwerster Störungen im öffentlichen Nahverkehr erst gar nicht hin, oder standen dann vor verschlossenen Türen. Selbst bei den großen Supermarktketten blieben die Tore zu, zumindest, bis am Nachmittag die Demonstrationen beendet waren. Die Gewerkschaften setzten alles daran, Einigkeit zu zeigen, koste es, was es wolle. Aber immerhin: Den Grund für den Streik kann man durchaus nachvollziehen. Nicht nur, dass die Arbeitslosenzahl hier in Spanien derzeit auf fast 25 Prozent geschätzt wird – in Asturien liegt die mittlere Arbeitslosenquote bei etwa 30, bei den jungen Mitbürgern bei 50 Prozent –, auch die Sanktionen, die dem Land im Rahmen der allgemeinen Sparmaßnahmen auferlegt wurden, versprechen nicht gerade eine Besserung der Situation.

Die Reformen, gegen welche mit verschiedensten Parolen gewettert wurden, beinhalten zwar auch einige gute Seiten, etwa bessere Möglichkeiten zur Weiterbildung und leichtere Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf, vor allem aber setzen die neuen Beschäftigungsrichtlinien die Menschen hier in Angst und Schrecken. Arbeitgeber können ihre Arbeitnehmer nun sehr viel leichter entlassen, im Notfall auch aus Krankheitsgründen. Die Idee, die dahinter steckt, ist vermutlich, dass Firmen eher Leute einstellen, wenn sie wissen, dass sie sie ohne Probleme wieder loswerden können. 10 Millionen Spanier allerdings kennen die Arbeitgeber besser, als ihre politischen Oberhäupter es tun, und glauben zu wissen, dass so nur noch mehr Menschen buchstäblich auf der Straße landen werden. Ein weiterer, cleverer Einfall der Regierung ist es, Minijobs zu fördern. Das haben sie sich angeblich aus Deutschland abgeguckt, wo es ja auch super funktioniert. Zumindest dann, wenn man den Statistiken traut und die Realität darüber völlig außer acht lässt. In einem Land zumindest, in dem eine 40-Quadratmeter-Wohnung 500 Euro Kaltmiete im Monat kostet, sehe ich nicht, wie man mit einem 400-Euro-Job sein Leben finanzieren soll. Aber offenbar hätten die Spanier auch gerne so schöne Statistiken wie wir, wo die Arbeitslosenquote inzwischen unter die 4-Prozent-Marke gesunken sein soll. Da kommen Mini- und Mikro-Jobs nur gelegen.

Das schlimmste an der Sache ist allerdings, dass die Medien schon längst begonnen haben, gegen dieses vermeintliche deutsche Vorbild zu hetzen. Man sieht hier kaum mehr die spanische Regierung als Ursprung der Krise im Land, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die böse Frau Merkel, die ohne Rücksicht auf die spanische Bevölkerung auf der Durchsetzung der zuvor festgelegten Sparmaßnahmen besteht. Dass einige Fehlinvestitionen, falsche Entscheidung und schlichtweg Betrugsfälle innerhalb der spanischen Regierung auch einiges mit der derzeitigen finanziellen Krise zu tun haben könnte, ist seltener Thema in den Medien und beim täglichen Klatsch und Tratsch. Das wäre auch ein alter Hut. Korruption und Unterschlagung durch Politiker ist hier schließlich bereits in Form von lustigen Comics in die Literatur der Humoristikabteilung eingegangen. Da bleibt doch nur noch zu sagen, nehmen wir es mit Humor! Immerhin waren die Bars und Kneipen am Abend des Generalstreiks auch schon wieder geöffnet und gut gefüllt. Man muss sich ja bei einem Wein und einer Sidra vom anstrengenden Marsch erholen...